Werkeigentümerinnen und -eigentümer (z. B. Eigentümerin eines Hauses) haften nach Artikel 58 Abs. 1 des Obligationenrechts (OR) für den Schaden, der infolge fehlerhafter Anlage, Herstellung oder mangelhaften Unterhalts ihres Gebäudes oder eines anderen Werkes verursacht wird. Es handelt sich dabei um eine sogenannte einfache Kausalhaftung. Werkeigentümerinnen und -eigentümer haften für den Schaden auch dann, wenn sie kein Verschulden trifft.

Begriffsklärung

  • Als Werk gilt ein stabiler, direkt oder indirekt mit dem Erdboden verbundener, künstlich (von Menschenhand) hergestellter oder angeordneter Gegenstand (z. B. Strassen, Gebäude, Skipisten, gewisse Sportanlagen, Spielplatzgeräte, Badeanstalt).
  • Ein Werkmangel liegt vor, wenn das Werk für den Gebrauch, zu dem es bestimmt ist, keine genügende Sicherheit bietet. Werkeigentümerinnen und -eigentümer dürfen allerdings davon ausgehen, dass das Werk bestimmungsgemäss benützt wird. Und dass die Benützerinnen und Benützer ein Mindestmass an Vorsicht walten lassen. So könnten – je nach konkreten Umständen des Einzelfalls – ein vereister Hauszugang, ebenso eine fehlende Signalisation im Strassenverkehr oder einzelne, nicht genügend gekennzeichnete Stufen im Vorraum der Toiletten eines Hotels als Werkmangel gelten. Geht es um einen Erstellungsmangel, so haften Werkeigentümerinnen und -eigentümer ungeachtet dessen, ob sie diesen Mangel kannten oder Geht es dagegen um einen Unterhaltsmangel, so hängt die Haftung der Eigentümerin oder des Eigentümers primär von der Zumutbarkeit der Kontrollen und den zeitlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Mängelbehebung ab.
  • Tafeln, mit denen eine allfällige Haftung bei Unfällen zum Voraus vollumfänglich abgelehnt wird, schliessen die Werkeigentümerhaftung nicht aus. Der Werkeigentümer haftet bei einem Unfall nur dann nicht, wenn bei der Erstellung und insbesondere beim Unterhalt des Werkes alle objektiv erforderlichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden. Dazu gehört auch, bei bestehenden Werken periodisch Inspektionen durchzuführen und zu dokumentieren sowie notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten vorzunehmen.
  • Sofern Werkeigentümerinnen und -eigentümer haften, können sie gemäss Art. 58 Abs. 2 OR Rückgriff auf diejenigen nehmen, die für den Schaden verantwortlich sind. So ist es denkbar, dass sie ihre Haftung aufgrund einer vertraglichen Beziehung auf den Lieferanten oder aufgrund des Produktehaftpflichtgesetzes auf den Hersteller des mangelhaften Werkes abwälzen können.

Rechtsprechung

Im Folgenden finden Sie einige Urteile zum Thema. Der BFU-Rechtsdienst hat diese Urteile zusammengefasst und aus Präventionssicht analysiert. Sie können den Originaltext aller Urteile auch auf der Website des Bundesgerichts (www.bger.ch) oder des entsprechenden kantonalen Gerichts nachlesen.

Stürze von Kindern, Senioren und Erwachsenen in und um Gebäude

  • Fataler Sturz eines Kindergartenschülers im Treppenhaus eines Kindergartens – Werkeigentümerhaftung wurde bejaht (Entscheid Kantonsgericht St. Gallen vom 11.6.2007 2007 / BZ.2006.100)
  • Sturz einer achtzig Jahre alten Frau über eine schlecht sichtbare Stufe im Vorraum der Toiletten eines Hotels – Werkeigentümerhaftung wurde bejaht (Bundesgerichtsurteil BGE 117 II 399 vom 9.7.1991)
  • Sturz einer Masseurin auf einem vereisten Hotelparkplatz in den Bergen – Werkeigentümerhaftung wurde bejaht (Urteil Bundesgericht vom 1.10.2003 / Prozess-Nr. 150/2003)
  • Sturz der Freundin eines Wohnungsmieters von einer mobilen Leiter, die zum Schlafraum auf der Galerie führt – Werkeigentümerhaftung des Vermieters wurde bejaht (Urteil Bundesgericht vom 5.4.2007 / Prozess-Nr. 45/2007)
  • Sturz eines Gastes aus dem bis zum Boden reichenden Fenster eines Hotelzimmers – Werkeigentümerhaftung wurde verneint, da das Gericht nicht verlangte, das Geländer vor dem Fenster hätte ausserhalb von Renovationsarbeiten binnen neun Jahren dem neuen technischen Standard angepasst werden müssen (Urteil Bundesgericht vom 9.4.2014 / Prozess-Nr. 4A_521/2013)
  • Sturz eines Wohnungsmieters vom Balkon seiner Wohnung in den Tod – Werkeigentümerhaftung wurde verneint, da das Gericht befand, der langjährige Mieter habe durch sein Verhalten (rücklings auf das Balkongeländer gesetzt) die Gefahr eines Unfalls erhöht und es dabei an der gebotenen Vorsicht mangeln lassen (Urteil Bundesgericht vom 3.12.2012 / Prozess-Nr. 4A_382/2012)

Kinderunfälle im Zusammenhang mit Gewässern

  • Sturz eines Kleinkindes in einen Webereikanal in der Nähe eines Mehrfamilienhauses – Werkeigentümerhaftung wurde verneint (Bundesgerichtsurteil BGE 130 III 736 vom 8.9.2004). Dieses Urteil ist ein Präjudizurteil zur Frage einer Werkeigentümerhaftung nach Kinderunfällen.
  • Sturz eines Kleinkindes in ein Biotop im Garten des Nachbarn – Werkeigentümerhaftung wurde verneint (4A_377/2016)

Unfälle auf winterlichen Strassen

Vergleichen Sie dazu bitte den Beitrag in der Rechtsfrage «Welche rechtlichen Vorgaben existieren für den Winterdienst auf öffentlichen Strassen?».

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