Fokus

Das grosse Puzzle der Unfalldaten

Unfälle verhindern kann nur, wer weiss, wo und wie sie passieren und wen sie betreffen. Die BFU befragt dieses Jahr 60 000 Schweizer Haushalte und setzt die Daten daraus zu einem grossen Ganzen des Unfallgeschehens zusammen.

Hatten Sie in den letzten 12 Monaten einen Unfall? Waren Sie mit einem Fahrzeug unterwegs? Handelte es sich um ein Velo? Mit diesem Fragentrichter arbeiten sich Steffen Niemann, Statistikexperte der BFU, und sein Team immer weiter zum Unfall vor. Bis sie mit der Lupe auf jenen Mountainbike-Unfall im Wald stossen, bei dem sich der 67-jährige Lenker so schwer an der Schulter verletzte, dass er ins Spital musste. «Der Schlüssel zum Erfolg sind dabei die richtigen Fragen», sagt Steffen Niemann.

Damit möglichst viele Unfälle abgedeckt werden, haben die Forscherinnen und Forscher der BFU die Köpfe zusammengesteckt. «Die Umfrage bietet viele Möglichkeiten, stösst aber auch an Grenzen», so Niemann. So wäre es zwar für die Forschung wichtig zu wissen, wie viele Kinder jedes Jahr in der Schweiz fast erstickt wären, weil sie etwas in den Mund genommen haben. «In der Realität lassen sich aber Beinaheunfälle nicht feststellen.»

Zum zweiten Mal führt die BFU eine breit angelegte Haushaltsbefragung durch. Aus einer anonymisierten Stichprobe des Bundesamts für Statistik werden während eines Jahres 60 000 Schweizer Haushalte angeschrieben und online befragt. Die Daten werden von einer externen Firma erhoben, welche die Ergebnisse anschliessend ohne Rückschlüsse auf Personendaten an die BFU weitergibt. 

Fehlende Puzzleteile finden

Dann beginnt für Steffen Niemann das Puzzeln. «Viele Teile müssen genau zusammenpassen, damit sich ein stimmiges Bild zum gesamten Unfallgeschehen ergibt», erklärt er. Mit der Haushaltsbefragung versucht die BFU, Datenlücken zu schliessen. Denn: Zwar werden die Strassenverkehrsunfälle vom Bundesamt für Strassen ASTRA und die Unfälle der Erwerbstätigen von der Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherung, der UVG-Statistik, systematisch erfasst.

Lücken entstehen aber durch die Dunkelziffer der nicht polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle und durch Personen, die in der UVG-Statistik nicht erfasst sind: Kinder, Hausfrauen und Hausmänner, Selbstständigerwerbende sowie Seniorinnen und Senioren wie der Mountainbiker aus dem erwähnten Beispiel. Diese fehlenden Puzzleteile versucht die BFU mit der Haushaltsbefragung zu finden. In der anonymisierten Stichprobe sind deshalb bewusst Familien mit Kindern und Personen im Rentenalter übervertreten.

«Diese Befragung ist eine valide Möglichkeit, um an Unfalldaten zu kommen», ist Steffen Niemann überzeugt. Der erfahrene Statistiker entwickelt mit der Zeit ein Gespür für seinen Datensatz, den er mit allen möglichen weiteren in der Schweiz verfügbaren Datensätzen aus den Bereichen Sport, Verkehr und Gesundheit abgleicht. Wichtig ist auch, dass die Datenbasis spätestens alle zehn Jahre erneuert wird. Aus dem Vergleich der verschiedenen Datensätze ergibt sich ein kohärentes Bild des gesamten Unfallgeschehens in der Schweiz – die Hochrechnung der BFU.

Datensatz nach zehn Jahren erneuern

Die Datenbasis muss regelmässig erneuert werden. «Mit jedem Jahr vergrössert sich der Rechenfehler aus der Hochrechnung», erklärt Steffen Niemann. Die letzte Haushaltsbefragung fand 2010 statt, damals wurden 15 000 Haushalte telefonisch befragt. Die Umfrage sollte 2020 wiederholt werden. «Aber wir alle wissen, was dann passiert ist», so Niemann. 

Corona hat die Unfallzahlen stark beeinflusst. «Hätten wir diese Daten als Basis für weitere zehn Jahre erhoben, wäre das Bild für die nächsten zehn Jahre zu sehr verzerrt gewesen.» In der Zwischenzeit habe sich das Unfallgeschehen stabilisiert. Die BFU kann also herausfinden, wann, wo und wie Unfälle passieren und ihren Auftrag erfüllen: Menschen sicher machen.

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