Urteil vom: 11. Mai 2007
Prozessnummer: U 411/05
Im März 2003 vergnügte sich die damals 22-jährige A in einem Snow-Tube-Park. Ein Snow-Tube ist eine Art Gummireifen, der zum Boden hin mit einer Plache bespannt ist. Damit gleitet jeweils eine Person über eine – ähnlich einer Bob-Bahn vorbereitete – Schneepiste. Gemäss Sicherheitsvorschriften des Parks ist die «optimale Fahrposition: sitzend, Rücken und Oberschenkel auf den Snow-Tube-Rand gestützt, beide Beine angezogen. Das Gesäss soll den Boden nicht berühren. Sich am Handgriff gut festhalten. Den Snow-Tube nicht steuern und Bremsen mit Füssen und Händen unbedingt unterlassen.>> A absolvierte mehrere Abfahrten problemlos, doch bei der letzten Abfahrt schlug sie mehrmals mit dem Steissbein auf der vereisten Piste auf. In der Folge litt sie unter Rücken-, Nacken-, Schulter- und Kopfschmerzen. Ihre Unfallversicherung verneinte ihre Leistungspflicht mit der Begründung, rechtlich gesehen handle es sich nicht um einen Unfall. Das kantonale Sozialversicherungsgericht sah den Unfallbegriff jedoch als erfüllt an und verpflichtete die Versicherung im September 2005, über den Leistungsanspruch neu zu entscheiden. Dagegen beschwerte sich die Unfallversicherung vor Bundesgericht, welches das Urteil des Sozialversicherungsgerichts bestätigte:
Nach Art. 4 ATSG (Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts) ist ein Unfall die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Im vorliegenden Fall umstritten war die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors.
Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors kann in einer unkoordinierten Bewegung bestehen. Bei Körperbewegungen ist das Erfordernis der äusseren Einwirkung grundsätzlich nur dann erfüllt, wenn der natürliche Ablauf einer Körperbewegung gleichsam «programmwidrig» von aussen beeinflusst wurde. Bei einer solchen unkoordinierten Bewegung wird der ungewöhnliche äussere Faktor bejaht. Hat sich jedoch nichts Besonderes ereignet bzw. «ohne besonderes Vorkommnis», wird bei einer Sportverletzung das Merkmal der Ungewöhnlichkeit und damit das Vorliegen eines Unfalls verneint. Bei sportlichen Tätigkeiten liegt somit rechtlich gesehen nur dann ein Unfall vor, wenn die sportliche Übung anders verlaufen ist als geplant.
Das treffe im vorliegenden Fall zu, hielt das Bundesgericht fest: A habe während der letzten Abfahrt – auf einer schwierigen Piste – zunächst die gemäss Sicherheitsvorschriften vorgesehene Position eingenommen. Dann sei sie jedoch ungewollt in den Snow-Tube hineingerutscht und habe so mehrmals mit dem Steissbein auf der vereisten Piste angeschlagen. Dieses ungewollte Hineinrutschen sei die relevante Programmwidrigkeit im Ablauf der Körperbewegung. Da die letzte Abfahrt somit anders verlaufen sei als geplant, handle es sich um einen Unfall. Folglich müsse die Unfallversicherung für die Folgen aufkommen.
(Prozess-Nr. des Bundesgerichts U 411/05)
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