Urteil vom: 18. Dezember 2000
Prozessnummer: 6S.619/2000
Nach der Trennung von seinem Partner, der sich einer Frau zugewandt hatte, befand sich der Arzt X in einer Krise. Er fuhr in den frühen Morgenstunden mit seinem Auto in einen Wald und nahm 60 mg Valium zu sich, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Diesen hatte er seinem Ex-Freund zuvor angekündigt. Aufgrund seiner Berufserfahrung nahm X an, spätestens nach einer halben Stunde in einen tiefen Schlaf zu fallen. Wie erwartet schlief er kurze Zeit später auch ein. Als er wieder wach war, startete er sein Auto und fuhr zunächst zu seinem Arbeitsort, wo er sich in der Toilette übergab. Danach setzte er seine Fahrt fort. Wenig später wurde er wegen seiner unsicheren Fahrweise von der Polizei angehalten. Gemäss Rapport war X in „Schlangenlinien“ gefahren und nicht ansprechbar, als er gestoppt wurde. Laut forensisch-psychiatrischem Gutachten war die Intoxikation von X auf seiner Fahrt derart schwer, dass seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war. Die kantonal letzte Instanz verurteilte ihn wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln durch fahrlässiges Führen eines Personenwagens unter Medikamenteneinfluss gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG (Strassenverkehrsgesetz) in Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 SVG zu einer Busse von Fr. 700.-. Das Bundesgericht wies die von X dagegen erhobene Beschwerde aus folgenden Gründen ab:
Der Zustand von X war vergleichbar mit jenem einer Angetrunkenheit. Obwohl die Fahrt mitten in der Nacht erfolgte, stellte sie eine ernstliche, zumindest abstrakte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Der Tatbestand der groben Verkehrsverletzung war damit in objektiver Hinsicht erfüllt. Das Gutachten attestierte X zum Tatzeitpunkt vollkommene Fahrunfähigkeit. Dennoch war er nach Ansicht des Bundesgerichts strafbar: X hätte nämlich bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit vor der Medikamenteneinnahme voraussehen können, dass er sein Fahrzeug später in nicht fahrfähigem Zustand lenken würde. Als Arzt musste ihm schon zu Beginn klar sein, dass er nach dem Aufwachen immer noch unter Medikamenteneinfluss stehen würde und trotzdem losfahren könnte. Weder sein Ex-Freund noch die Polizei wussten, wo X sich aufhielt. Er durfte sich nicht einfach darauf verlassen, im Wald von jemandem gefunden zu werden, bevor er erwachte. Da X sich auch hätte bewusst sein müssen, in seinem Zustand andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden, wenn er wieder losfahren würde, stuften die Richter sein Verhalten als grobfahrlässig ein. Daran änderte auch die Annahme der Vorinstanz nichts, die Zurechnungsfähigkeit von X sei aufgrund seines ausserordentlichen psychischen Zustands vor der Einnahme der Medikamente leicht vermindert gewesen. Wer sich in eine Situation begebe, in der er voraussehen müsse, dass er im Zustand völliger Zurechnungsunfähigkeit Auto fahren werde, handle rücksichtslos und damit grob verkehrsregelwidrig, schloss das Bundesgericht.
(Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6S.619/2000)
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