Urteil vom: 4. August 2004
Prozessnummer: 6P.17/2004

Sachverhalt
Der Personenwagenlenker Y fuhr ausserorts mit der maximal zulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h. Parallel zur Strasse verlief ein Radstreifen, der vor Y rechts in die Strasse einmündete. Die Benutzer des Radstreifens waren vortrittsbelastet (Signal „kein Vortritt“ und Wartelinie). Y erblickte nach einer Rechtskurve vor ihm auf dem Radstreifen eine Gruppe von Kindern auf Fahrrädern und Motorfahrrädern, die sich der Einmündung näherten. Er fuhr jedoch weiter, ohne seine Geschwindigkeit zu mässigen und Bremsbereitschaft zu erstellen. Als die zwölfjährige Fahrradfahrerin X bei der Einmündung auf die Strasse hinausfahren wollte, stiess sie mit der rechten Seite des Fahrzeugs Y zusammen und wurde weggeschleudert. Sie erlitt schwere Verletzungen.

Prozessgeschichte
Das Verfahren gegen Y wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung wurde kantonal letztinstanzlich eingestellt. Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde von X gut.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht erkannte, die kantonalen Behörden hätten zu Unrecht angenommen, Y könne von vornherein keine Verkehrsregelverletzung vorgeworfen werden. Bei Kindern im Strassenverkehr müsse grundsätzlich immer damit gerechnet werden, dass diese sich sorgfaltswidrig verhielten; ein zwölfjähriges Kind falle noch unter diese Schutznorm. Gegenüber Kindern gelte das Vertrauensprinzip nur sehr beschränkt. Es bedürfe besonderer Umstände, um ein allenfalls begrenztes Vertrauen in das ordnungsgemässe Verhalten von Kindern im Strassenverkehr zu rechtfertigen. Solche hätten hier nicht vorgelegen. Y habe die auf die Einmündung zufahrende X eindeutig als Kind wahrgenommen. Es sei für ihn klar ersichtlich gewesen, dass die Fahrrad- und Mofafahrer bei der fraglichen Einmündung des Radwegs die Hauptstrasse überqueren oder in sie einbiegen würden. Gleichwohl sei er, ohne die Geschwindigkeit zu mässigen, Bremsbereitschaft zu erstellen und auf die Kinder am Fahrbahnrand und im Nahbereich der Strasse besonders zu achten, mit 80 km/h weitergefahren. Mit seinem Verhalten habe er die Vorsichtspflichten gemäss Art. 26 Abs. 2 SVG (Strassenverkehrsgesetz) verletzt.

(Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6P.17/2004 und 6S.49/2004)

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

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Die Volltextsuche kantonaler Entscheide finden Sie auf den kantonalen Websites.

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