Urteil vom: 25. Februar 2008
Prozessnummer: 6B_734/2007

Die Familien X und B (zwei Elternpaare mit je einem Kind, miteinander verschwägert) verbrachten im Februar 2003 gemeinsam ihre Ferien in einem Wintersportort. Als sie sich nach einem abendlichen Restaurantbesuch auf den Weg zurück in ihre Ferienwohnung machten, zog Herr B seinen Neffen (den 4-jährigen Sohn von Herrn X) in einem Kinderbob hinter sich her. Herr X wiederum nahm sein 7-jähriges Patenkind (den Sohn von Herrn B) auf einem Schlitten ins Schlepptau. Zur selben Zeit näherte sich Y in einem Raupenfahrzeug mit eingeschaltenem Scheinwerfer- und Drehblinklicht und fuhr an Herrn X und seinem Patenkind vorbei. Herr B und sein Neffe schlittelten inzwischen mit dem Kinderbob vor dem Pistenfahrzeug auf dem leicht abfallenden Weg. Herr X machte sich grosse Sorgen um seinen Sohn und rannte, sein Patenkind auf dem Schlitten hinter sich her ziehend, dem Raupenfahrzeug nach. Schliesslich bestieg er das Trittbrett. Als Y den mitfahrenden Herrn X entdeckte, leitete er sofort eine Vollbremsung ein, schaltete aber versehentlich statt in die Nullposition in den Rückwärtsgang (was bei diesem Typ Raupenfahrzeug leicht möglich ist). Das Fahrzeug rollte rückwärts, so dass der Sohn von Herrn B mit seinem Schlitten auffuhr, unter die Raupenkette geriet und sich schwer verletzte. Im Oktober 2007 wurde Herr X kantonal letztinstanzlich der fahrlässigen schweren Körperverletzung für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 7 Tagessätzen zu je Fr. 600.– verurteilt (bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren). X beschwerte sich dagegen vergeblich vor Bundesgericht. Er machte geltend, er sei wegen des Raupenfahrzeugs in panische Angst um seinen Sohn geraten und daher nicht in der Lage gewesen, sein Handeln und die Risiken einzuschätzen. Folglich habe er sich nicht pflichtwidrig unvorsichtig verhalten. Vielmehr sei der Unfall auf das Versehen von Y zurückzuführen. Das Bundesgericht war anderer Meinung und bestätigte den kantonalen Entscheid aus folgenden Gründen:

Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung setzt die Verletzung einer Sorgfaltspflicht voraus. Der Unfall hatte sich auf einer schneebedeckten Strasse ereignet, die Raupenfahrzeugen, Schneesportlern und Fussgängern offen steht. Deshalb waren vorliegend die Vorschriften des SVG (Strassenverkehrsgesetz) und der VRV (Verkehrsregelnverordnung) massgebend für die gebotene Sorgfalt. Art. 60 Abs. 5 VRV verbietet ausdrücklich das Besteigen fahrender Motorfahrzeuge. Zudem ist gemäss den Richtlinien der SKUS (Schweizerische Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten) jederzeit mit dem Einsatz von Raupenfahrzeugen zu rechnen und vorne und hinten ein Abstand von je 15 Metern und seitlich von 3 Metern einzuhalten; das Anhängen ist untersagt. Da Herr X zu Fuss unterwegs war, liess das Bundesgericht offen, ob die SKUS-Richtlinien – wie die Vorinstanz angenommen hatte - im vorliegenden Fall wirklich Anwendung fanden.

X hatte das Trittbrett des fahrenden Raupenfahrzeugs bestiegen. Er hatte damit gegen Art. 60 Abs. 5 VRV verstossen (sich also sorgfaltswidrig verhalten) und die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten. Trotz seiner Angst um seinen Sohn hätte er die durch sein Vorgehen hervorgerufene Unfallgefahr erkennen können und müssen. Sein Verhalten war zudem geeignet, einen derartigen Unfall herbeizuführen (adäquate Kausalität). Daran vermochte auch das Fehlverhalten von Y nichts zu ändern, denn es ist nicht derart aussergewöhnlich, dass Raupenfahrzeuge abrupt bremsen oder rückwärts fahren. X sei zu Recht schuldig gesprochen worden, befand das Bundesgericht. Es liege kein so schweres Drittverschulden vor, welches das Verhalten von Herrn X in den Hintergrund dränge und als wahrscheinlichste und direkteste Ursache der schweren Körperverletzung erscheinen lasse.

(Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6B_734/2007)

Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden

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