Urteil vom: 22. Januar 2008
Prozessnummer: 6B_576/2007

Nach der Bestimmung von Art. 34 Abs. 4 SVG ist gegenüber allen Strassenbenützern ein ausreichender Abstand zu wahren, namentlich beim Kreuzen und Überholen sowie beim Neben- und Hintereinanderfahren. Diese Abstandsregel richtet sich sowohl an motorlose Fahrzeuge als auch an Motorfahrzeuge und gilt auch gegenüber Fussgängern (Urteil des Kassationshofs 6S.366/2004 vom 16.02.2005 E. 2.3 mit Hinweisen). Nach Art. 35 Abs. 3 SVG muss, wer überholt, auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.

Ob der seitliche Abstand beim Überholen angemessen ist, hängt nach der Rechtsprechung neben der Geschwindigkeit, mit der überholt wird, und anderen Umständen - wie den Strassen- oder Sichtverhältnissen - wesentlich von der Art des zu überholenden Strassenbenützers und seinem erkennbaren oder voraussehbaren Verhalten ab. Je geringer der seitliche Abstand bemessen wird, desto näher liegt die Gefahr eines Zusammenstosses oder Unfalles. Dies gilt sowohl für das Überholen eines Radfahrers wie auch für dasjenige eines Motorfahrzeuges. Velofahrer sind, wenn sie mit zu knapp bemessenen seitlichem Abstand überholt werden, in besonderem Masse der Gefahr ausgesetzt, in der Fahrsicherheit beeinträchtigt zu werden, ins Schwanken zu geraten und zu stürzen. Dabei ist besondere Vorsicht geboten, wenn ein - namentlich wegen Angetrunkenheit - sichtbar schwankender Velofahrer überholt wird (BGE 81 IV 85 E. 4). Der Überholende hat daher den Sicherheitsabstand so weit zu bemessen, dass er dem Radfahrer ausreichenden Raum belässt, die Fahrt fortzusetzen, ohne sich oder andere zu gefährden. Wie gross der Mindestabstand sein muss, lässt sich nicht ein für allemal ziffernmässig festlegen (BGE 86 IV 107 E. 3 mit Hinweisen). In der Literatur wird beim Überholen von Zweiradfahrzeugen generell ein seitlicher Abstand von mehr als einem Meter verlangt (René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, 2. Auflage Bern 2002, N 733; vgl. auch Peter Hentschel, Strassenverkehrsrecht, 39. Aufl., München 2007, § 5 StVO N 55 [bei Radfahrern 1,5 - 2 Meter]).

Im konkreten Fall hatte der Abstand zwischen der Lenkstange des Velos und dem rechten Aussenspiegel des Personenwagens rund 15 cm betragen. Auf einen ungenügenden Abstand schliessen die kantonalen Instanzen zum anderen auch aus dem Umstand, dass nach der Kollision der rechte Rückspiegel am Wagen des PW-Lenkers zurückgeklappt war. Der Schluss, der seitliche Abstand des Autos zum Velofahrer sei nur gering gewesen, weil der Geschädigte nach einem kleinen Schwenker mit dem Rückspiegel kollidiert und infolgedessen gestürzt sei, ist nicht unhaltbar.

Welcher genaue Abstand der konkreten Verkehrssituation angemessen gewesen wäre, kann hier offen bleiben. Mit Sicherheit war der effektiv eingehaltene seitliche Abstand zwischen dem rechten Aussenspiegel des Personenwagens und dem Lenker des Velos zu gering. Dies gilt umso mehr, als der PW-Lenker die unsichere Fahrweise des damals 75-jährigen Radfahrers bemerkt hatte und er daher zu erhöhter Vorsicht verpflichtet war. Damit werden die Sorgfaltsanforderungen im Zusammenhang mit üblichen Fahrmanövern entgegen der Auffassung des PW-Lenkers nicht in einem Masse erhöht, dass sie im Einzelfall nicht mehr erfüllt werden können (vgl. BGE 127 IV 34 E. 3c/bb, S. 44). Die Annahme der Vorinstanz, der PW-Lenker habe seine Sorgfaltspflichten verletzt, ist daher nicht zu beanstanden.

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