Urteil vom: 22. September 2016
Prozessnummer: 1C_224/2016
Sachverhalt
Am 1. Januar 2016, um ca. 7 Uhr, war eine Polizeipatrouille der Berner Kantonspolizei in einem zivilen Dienstwagen auf der 1. Überholspur der dreispurigen Autobahn A1-Ost von der Verzweigung Wankdorf in Richtung Verzweigung Schönbühl unterwegs, als sie bei dichtem Nebel von einem "VW Polo" mit überhöhter Geschwindigkeit auf der 2. Überholspur überholt wurde. Sie folgte dem Fahrzeug, führte eine Geschwindigkeitsmessung durch und stellte es nach der Ausfahrt Schönbühl. Die Auswertung der Messung und der dem Lenker, A. , entnommenen Blutproben ergaben, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 46 km/h überschritten und das Fahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol (1,2 Promille) und Kokain gelenkt hatte. Die Polizei nahm A. den Führerausweis ab.
Prozessgeschichte
Das Strassenvekehrsamt entzog A den Führerausweis auf Probe bis zur Abklärung seiner Fahreignung vorsorglich. Es ordnete eine Eignungsuntersuchung durch das Institut für forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Langenthal an und entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung. A zog diesen Entscheid erfolglos bis vor Bundesgericht weiter.
Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Der Beschwerdeführer (Jg. 1992) erwarb am 13. August 2010 den Führerausweis auf Probe. Am 29. September 2010 beging er eine Geschwindigkeitsüberschreitung (leichte Widerhandlung) und am 2. Oktober 2010 verursachte er in angetrunkenem Zustand (0,75 Promille) einen Unfall, worauf ihm der Führerausweis am 20. Januar 2011 für einen Monat entzogen und die Probezeit um 1 Jahr verlängert wurde. Am 23. Januar 2011 führte er erneut ein Fahrzeug in angetrunkenem Zustand (0,51 Promille), worauf ihm der Führerausweis am 10. März 2011 vorsorglich entzogen und eine Fahreignungsabklärung angeordnet wurde. Nachdem sich der Beschwerdeführer der Fahreignungsabklärung nicht unterzogen hatte, wurde ihm der Führerausweis am 17. Januar 2012 auf unbestimmte Zeit entzogen (Sicherungsentzug). Am 26. Oktober 2012 wurde dem Beschwerdeführer die Wiederzulassung als Motorfahrzeugführer verweigert, nachdem ein verkehrspsychologisches Gutachten negativ ausgefallen war. In der Folge absolvierte er eine Verkehrstherapie, worauf seine Fahreignung am 5. November 2013 gutachterlich bejaht wurde. Am 7. Januar 2014 wurde daraufhin der Führerausweis auf Probe des Beschwerdeführers rückwirkend per 12. März 2011 annulliert, und er wurde, unter dem Vorbehalt des Bestehens einer ordentlichen Führerprüfung, wieder zum motorisierten Strassenverkehr zugelassen.
Am 26. März 2014 erwarb der Beschwerdeführer erneut einen Führerausweis auf Probe mit einer Probezeit von drei Jahren. Am 1. Januar 2016 kam es dann zum Vorfall, welcher dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegt.
Der Beschwerdeführer wendet sich - zu Recht - nicht dagegen, dass ihm der Führerausweis vorsorglich entzogen und die Wiederzulassung zum motorisierten Strassenverkehr vom Vorliegen eines positiven verkehrsmedizinischen Gutachtens abhängig gemacht wurde. Er hält es dagegen für willkürlich, dass "die offensichtlich auf eine verkehrsrelevante Suchtproblematik zurückzuführende fehlende Fahreignung gleichzeitig eine charakterliche Fahreignungsprüfung nach sich ziehen soll".
Unbestritten und auch unbestreitbar ist, dass die Fahrt vom Neujahr unter Alkohol- und Drogeneinfluss vor dem Hintergrund des dargestellten automobilistischen Leumunds Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers erweckt. Dieser leidet nach seiner eigenen Darstellung an einer verkehrsmedizinisch relevanten Kokainsucht. Keineswegs fest steht dagegen, dass die Fahreignung ausschliesslich durch eine allfällige Alkohol- und/oder Drogensucht beeinträchtigt wird, was durch eine verkehrsmedizinische Untersuchung zu klären ist. Es ist nicht auszuschliessen, dass beim Beschwerdeführer auch charakterliche Mängel vorliegen, die ihn unabhängig von einer allfälligen Suchterkrankung dazu verleiten könnten, die Wirkung von Drogen und Alkohol auf seine Leistungsfähigkeit zu bagatellisieren und sich in fahrunfähigem Zustand ans Steuer zu setzen; der Beschwerdeführer bietet möglicherweise keine Gewähr dafür, den Konsum von Alkohol und Drogen und die Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr zuverlässig zu trennen. Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen und einer verkehrspsychologischen Untersuchung zur Abklärung beider Aspekte ist offensichtlich nicht willkürlich. Sinnvoll wäre es allenfalls, mit der letzteren zuzuwarten, bis die Fahreignung aus medizinischer Sicht bejaht werden kann. Dies wird wegen der bei Drogensucht regelmässig auferlegten Abstinenzverpflichtung frühestens in einigen Monaten der Fall sein, zu einem Zeitpunkt, in welchem eine umgehend durchgeführte verkehrspsychologische Begutachtung möglicherweise nicht mehr ausreichend aktuell wäre.
Die BFU-Sammlung von Bundesgerichtsentscheiden
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