Arrêt du: 20 janvier 2009
N° de procédure: 6B_868/2008
Sachverhalt
X hatte im Mai 2005 nach 19 Uhr mit ihrem Wagen eine Kollegin abgeholt und fuhr von deren Villa auf einem Kiesweg bis zu der von Hecken gesäumten Grundstücksgrenze. Dort angekommen, vergewisserte sich X mit einem Blick nach links und rechts, dass sie keine Fussgänger behinderte, überquerte das Trottoir und manövrierte ihr Fahrzeug bis zum Fahrbahnrand, um nach rechts abzubiegen. Wegen der Hecke hatte X nur beschränkte Sicht. Sie wartete, gewährte einem von links kommenden Fahrzeug den Vortritt und setzte dann ihren Wagen in Gang. Dabei kam es zur Kollision mit O. Dieser hatte sich mit seinem Velo auf dem Trottoir fahrend von rechts genähert, kam zu Fall und schlug, da er keinen Helm trug, mit dem Kopf direkt auf dem Asphalt auf. X geriet in Panik. Statt reflexartig abzubremsen, überfuhr sie O, und ihr Wagen kam erst 3-4 Sekunden nach der Kollision zum Stillstand. O erlag im Spital seinen schweren Verletzungen.
Prozessgeschichte
X wurde erstinstanzlich vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei gesprochen. Die dagegen erhobene Beschwerde der Staatsanwaltschaft und der Angehörigen des Opfers wurde jedoch im April 2008 gutgeheissen, X kantonal letztinstanzlich der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zur Bezahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 30'000.– verurteilt. X war sich keines Verschuldens bewusst, da O vorschriftswidrig mit seinem Velo auf dem Trottoir gefahren war, und zog den Fall weiter ans Bundesgericht. Dieses bestätigte den Entscheid der Vorinstanz aus folgenden Gründen:
Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass jemand seine Sorgfaltspflicht verletzt und so den Tod eines Menschen verursacht hat. Der von X im konkreten Fall zu beachtende Sorgfaltsmassstab lässt sich aus Verkehrsregeln ableiten: Nach Art. 36 Abs. 4 SVG (Strassenverkehrsgesetz) darf, wer sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen will, andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben Vortritt. Art. 15 Abs. 3 VRV (Verkehrsregelnverordnung) verpflichtet denjenigen, der aus Fabrik-, Hof-, Garagenausfahren und dergleichen oder über ein Trottoir auf eine Haupt- oder Nebenstrasse fährt, den Benützern dieser Strassen den Vortritt zu gewähren. Falls die Stelle unübersichtlich ist, muss eine Hilfsperson zur Überwachung des Fahrverkehrs beigezogen werden.
X hatte zwar vor Überquerung des Trottoirs korrekt nach rechts und links geschaut. Sie hatte dem von links kommenden Fahrzeug den Vortritt gewährt und sich dann in den Verkehr einfügen wollen. Allerdings hatte sie es versäumt, nochmals nach rechts zu schauen, bevor sie erneut anfuhr. Ein zusätzlicher Blick nach rechts wäre aber aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse unbedingt nötig gewesen. So hätte sie den sich von rechts auf dem Trottoir nähernden gut sichtbaren O wahrnehmen können. Dass sie nach der Kollision keine Notbremsung eingeleitet hatte, liess sich nicht mit einem Schockzustand rechtfertigen. Denn jeder Fahrzeugführer muss sein Fahrzeug ständig so beherrschen können, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachkommen kann (Art. 31 Abs. 1 SVG). X hatte somit mehrere Sorgfaltspflichten verletzt. Unter diesen Umständen konnte sie sich nicht auf das aus Art. 26 SVG abgeleitete Vertrauensprinzip berufen. Dieses besagt, dass jeder Strassenbenützer, sofern er sich selbst korrekt verhält, grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sich auch die anderen Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. O war zwar vorschriftswidrig mit seinem Velo auf dem Trottoir unterwegs gewesen. Dieses Verhalten war nach Ansicht des Bundesgerichts jedoch nicht derart aussergewöhnlich, dass die Sorgfaltspflichtverletzungen von X vollends in den Hintergrund rückten und der Kausalverlauf unterbrochen wurde. Das Bundesgericht kam zum Schluss, X sei zu Recht der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden, und wies ihre Beschwerde ab.
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