Arrêt du: 26 mai 2003
N° de procédure: 6S.471/2002
Recueil officiel: 129 IV 282
X fuhr mit 30–40 km/h mit seinem Geländewagen auf einer wenig befahrenen Strasse talwärts und erfasste ein fünfjähriges Kind, das seiner achtzehnjährigen Babysitterin davon gelaufen war. Der Knabe Y stand links neben seiner Begleiterin und war für X teilweise verdeckt. Die beiden Fussgänger wollten ersichtlich die Fahrbahn überqueren. Beim Anblick der Fussgänger mässigte X die Fahrgeschwindigkeit und erstellte Bremsbereitschaft. Nachdem ein bergwärts fahrender Personenwagen an den Fussgängern vorbeigefahren war, sprang Y plötzlich auf die Strasse. Eine tödliche Kollision konnte nicht verhindert werden.
X wurde letztinstanzlich von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft führte dagegen erfolgreich Nichtigkeitsbeschwerde. Das Bundesgericht machte namentlich dem Fahrzeugführer zum Vorwurf, sich auf die Begleiterin des Kindes und nicht auf das Kind konzentriert zu haben in der fälschlichen Annahme, diese halte das Kind an der Hand.
Wie das Bundesgericht betont, geht die Pflicht zu besonderer Vorsicht gegenüber Kindern (Art. 26 Abs. 2 SVG [Strassenverkehrsgesetz]) ungeachtet der Situation und konkreter Anzeichen für ein Fehlverhalten nicht so weit, dass der Führer eines Motorfahrzeugs beim Anblick eines Kindes in jedem Fall seine Fahrt verlangsamen und Hupsignale geben müsste. Dies ist nach der Rechtsprechung innerorts aber etwa geboten, wenn sich das Kind auf der Fahrbahn befindet oder am Strassenrand steht, um die Strasse zu überqueren. In diesen Fällen darf sich der Lenker nicht auf sein Vortrittsrecht verlassen, auch wenn keine konkreten Anzeichen für ein Fehlverhalten ersichtlich sind. Vielmehr muss er die Gewissheit haben, dass das Kind die nahende Gefahr wahrgenommen hat und zu verstehen gibt, dass es sich richtig verhalten wird. Andernfalls hat der Lenker zu bremsen und ein Hupsignal abzugeben. Ausgehend davon soll der Vertrauensgrundsatz gegenüber Kindern gelten, die durch erwachsene Begleitpersonen erkennbar kontrolliert und beherrscht werden. Nur in diesen Fällen habe der Lenker die vom Gesetz verlangte erhöhte Sorgfalt grundsätzlich nicht aufzubringen und gehe die Verantwortung für die Abschirmung des Kindes vor den Gefahren des Verkehrs vollständig auf die Begleitperson über. Der Autofahrer X wäre nach Auffassung des Bundesgerichts nur entlastet worden, wenn die Begleitperson das Kind fest an der Hand gehalten hätte bzw. wenn er aufgrund der Umstände davon hätte ausgehen dürfen.
(Urteil vom 26.5.2003, Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6S.471/2002 / 1P.313/2004 vom 02.11.2004)
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