Arrêt du: 16 août 2004
N° de procédure: 1P.305/2004

Thema des Urteils
Treppenhandlauf im Schulhaus, der zum rückwärts runter rutschen animiert

Sachverhalt
Der Primarschüler Z rutschte am 4.9.2001 nach einer Schulstunde im Schulhaus auf dem Handlauf der vom zweiten Obergeschoss auf den Zwischenboden führenden Treppe rückwärts hinunter, verlor dabei das Gleichgewicht und verletzte sich beim Sturz auf den Kellerboden tödlich.

Prozessgeschichte
Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren zur Abklärung dieses Todesfalls ein und teilte dies dem Vater von Z am 5.11. 2001 mit. Die Eltern von Z beantragten in der Folge, es sei ein Strafverfahren gemäss Art. 229 und 117 Strafgesetzbuch (StGB) mit den notwendigen Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen zu eröffnen. Insbesondere sei gutachterlich abklären zu lassen, ob das Treppenhaus im fraglichen Schulhaus den Sicherheitsanforderungen an Treppenhäuser in öffentlichen Schulen gemäss sia-Norm 358 bzw. den anerkannten Regeln der Baukunde genüge und ob allfällige Baumängel für den Tod von Z adäquat kausal gewesen seien. Im Weiteren konstituierten sie sich als Zivilpartei im Verfahren und behielten sich vor, im gegebenen Zeitpunkt Genugtuungs- und Schadenersatzansprüche zu stellen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons wies das Wiederaufnahmegesuch ab.
Das daraufhin von den Eltern von Z angerufene kantonale Obergericht schützte diese Verfügung der Staatsanwaltschaft. Die Verweigerung der Wiederaufnahme des rechtskräftig eingestellten Verfahrens und die Verweigerung einer erneuten Eröffnung eines Strafverfahrens gemäss Art. 229 und 117 StGB (Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde bzw. Fahrlässige Tötung) sei nicht zu beanstanden.
Die Eltern gelangten daraufhin ans Bundesgericht und beantragten die Aufhebung dieses Entscheides wegen Willkür. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Weigerung des Obergerichts richtete, die (erneute) Eröffnung eines Strafverfahrens anzuordnen, gut und hob diesen Entscheid des Obergerichts auf.

Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts

  • Gemäss Bundesgericht ist ohne weiteres davon auszugehen, dass Treppengeländer in einem Schulhaus, die zum Rutschen geeignet sind, von Primarschülern auch dazu benutzt werden; dies entspricht allgemeiner Lebenserfahrung. Die Schüler könnten durch ein – beispielsweise in einer Hausordnung enthaltenes Verbot – nicht zuverlässig davon abgehalten werden, die Treppengeländer hinunter zu rutschen. Dies wäre nur durch eine lückenlose Aufsicht zu erreichen, wie sie angesichts der beschränkten personellen Mittel nicht gewährleistet werden könne in einem Schulbetrieb.
  • Das Bundesgericht hält die Schlussfolgerung des Obergerichts, es sei von vornherein auszuschliessen, dass die für die Erstellung oder den Betrieb des Schulhauses Verantwortlichen eine strafrechtlich relevante Verantwortung am Tod von Z treffen könnte, für nicht vertretbar. Wenn bekannt war, dass Schüler vom Benutzen einer zum Rutschen geeigneten Treppenbrüstung nur durch ein Verbot nicht abzuhalten sind, dabei aber die Gefahr eines tödlichen Absturzes in den Treppenschacht bestand, so müsse im Strafverfahren geprüft werden, ob nicht andere Massnahmen hätten ergriffen werden können und müssen, um dieser Gefahr wirksam zu begegnen. Auch hätte geprüft werden müssen, ob in der Unterlassung solcher Massnahmen nicht eine strafrechtlich relevante Pflichtwidrigkeit liege.
  • Den Bundesrichtern fiel auf, dass die Treppenbrüstung im älteren unteren Teil des Schulgebäudes ebenfalls aus einem Stahlrohr bestand, dort jedoch in umgekehrter U-Form angebracht und so unterteilt sei, dass ein Rutschen wie im oberen Treppenhaus nicht möglich sei. Es wies das Obergericht an, abzuklären, weshalb nicht eine solche oder eine Lösung mit den mittlerweile angebrachten Stoppern gewählt wurde, zumal die Sicherheit der neuen, durchgängigen Treppengeländer in der Baukommission zur Diskussion gekommen sein soll. Das Bundesgericht gab weiter zu bedenken, der Treppenhausschacht hätte auch durch andere bauliche Massnahmen gegen das Abstürzen auf den Kellerboden gesichert werden können, etwa durch Fangnetze im Treppenhausschacht. Da dieses Problem in vielen Schulhäusern bestehen dürfte, müsse untersucht werden, welche Massnahmen gegebenenfalls als üblich betrachtet werden können. Es frage sich auch, ob die für den Betrieb des Schulhauses verantwortlichen Schulpfleger, Lehrer, Abwarte etc., die möglicherweise wussten oder wissen mussten, dass die Schüler dieses Treppengeländer als Rutschbahn benutzen, nicht hätten aktiv werden müssen, um von der zuständigen Behörde zu verlangen, die Gefahrenquelle baulich oder allenfalls auch auf andere Weise zu beheben.
  • Ohne die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens zur Abklärung dieser sich stellenden Fragen, lasse sich schlechthin nicht halten, eine strafrechtliche Verantwortung der für den Bau und /oder den Betrieb des Schulhauses Verantwortlichen von vornherein auszuschliessen. Kein Untersuchungsverfahren zu eröffnen, obwohl im Ermittlungsverfahren nicht alle Umstände abgeklärt worden seien, die für die Anklageerhebung oder die Einstellung des Verfahrens von Bedeutung sein könnten, verletze das Willkürverbot. Daher müsse insoweit die Beschwerde der Eltern von Z gutgeheissen werden.



  • Folgerungen bfu daraus

  • Auch wenn das Bundesgericht im konkreten Fall nicht materiell entschieden hat, die für den Betrieb des Schulhauses verantwortlichen Schulpfleger, Lehrer, Abwarte etc. hätten sich wegen Untätigkeit trotz Kenntnis gefährlicher Aktivitäten der Schüler im Schulhaus strafbar gemacht, macht dieses Urteil klar, dass aus Sicht Bundesgericht eine entsprechende Bestrafung durchaus im Bereich des Möglichen liegt.
  • Für die Prävention kann daraus gefolgert werden, dass die Verantwortlichen dem sicheren Betrieb eines Schulhauses höchste Aufmerksamkeit widmen sollten. Insbesondere sind Feststellungen von Gefahrenstellen umgehend an die zuständige Stelle zu melden und sofort provisorische Absicherungen dieser Gefahrenstellen zu veranlassen. Die anschliessende Überprüfung dieser Gefahrenstellen mit Hilfe einer Fachperson (z.B. der bfu) sollte rasch in die Wege geleitet werden. Nur so kann einerseits das Risiko von Sturzunfällen minimiert, andererseits auch ein Beitrag zur Reduktion des eigenen Haftungs- und Verantwortungs-Risikos der für den Betrieb eines Schulhauses Verantwortlichen geleistet werden.

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