Arrêt du: 26 avril 1995
Recueil officiel: BGE 121 II 127
Sachverhalt
S. überschritt als Lenkerin ihres Personenwagens am 2. Februar 1994 um ca. 0920 Uhr in Otelfingen/ZH innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 27 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h).
Prozessgeschichte
Das Strassenverkehrsamt entzog S. deswegen den Führerausweis für die Dauer eines Monats. S. war damit nicht einverstanden, gelangte bis ans Bundesgericht und verlangte bloss eine Verwarnung. Diese Beschwerde blieb erfolglos.
Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Die Beschwerdeführerin hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts um 27 km/h überschritten. Durch diese Verkehrsregelverletzung hat sie eine erhebliche Verkehrsgefahr geschaffen. Die von ihr befahrene Strecke hat bei der Messstelle deutlich Innerortscharakter. Es münden an dieser Stelle von links und rechts je eine Nebenstrasse ein. Ausserdem ist ein Fussgängerstreifen markiert. Diesen Verhältnissen war die Geschwindigkeit der Beschwerdeführerin bei weitem nicht angepasst.
Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, musste die Beschwerdeführerin mit Velofahrern und Fussgängern sowie damit rechnen, dass Fahrzeuge aus den Nebenstrassen einbiegen würden. Diese anderen Verkehrsteilnehmer durften sich, auch soweit sie wartepflichtig waren, auf den Vertrauensgrundsatz berufen (BGE 120 IV 252 E. 2d/aa). Sie mussten sich nicht darauf einstellen, dass ein Fahrzeug mit einer derart übersetzten Geschwindigkeit herannahen würde.
Ob sich die Beschwerdeführerin korrekt verhalten hätte, wenn sie mit 50 km/h gefahren wäre, kann dahingestellt bleiben. Hervorzuheben ist, dass eine Geschwindigkeit auch dann den Verhältnissen nicht angepasst sein und deshalb gemäss Art. 32 Abs. 1 SVG vorschriftswidrig sein kann, wenn sie im Rahmen der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit nach Art. 4a Abs. 1 VRV liegt. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit gemäss Art. 4a Abs. 1 VRV ist nicht die Geschwindigkeit, die unter allen Umständen ausgefahren werden kann; es ist die Geschwindigkeit, mit der unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen gefahren werden darf.
Der Kassationshof hat im Herbst 1994 bei Experten eine schriftliche Stellungnahme zu Fragen im Zusammenhang mit der Verletzung von Geschwindigkeitsvorschriften eingeholt und am 16. Dezember 1994 eine Aussprache durchgeführt. Daran nahmen teil: Prof. Dr. Felix Walz, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich; Prof. Dr. Peter Niederer, Institut für biomedizinische Technik, ETH Zürich; Prof. Dr. Karl Dietrich, Institut für Verkehrsplanung, Transporttechnik, Strassen- und Eisenbahnbau, ETH Zürich; Herr Peter Hehlen, dipl. Ing. ETH, Direktor der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung, Bern; Dr. Raphaël Huguenin, Verkehrspsychologe, Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung, Bern; lic. iur. Hans-Peter Bloch, Abteilungschef, und Fürsprech Werner Jeger, Sektionschef, Bundesamt für Polizeiwesen. Aus den dem Kassationshof unterbreiteten Unterlagen ergibt sich, dass eine übersetzte Geschwindigkeit gerade innerorts eine erhebliche Gefahr darstellt. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize ist innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem sind innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer vorhanden (Fussgänger, Velofahrer), die - vor allem Kinder und ältere Menschen - einem besonderen Risiko ausgesetzt sind. Darüber hinaus besteht eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. Welch schwerwiegende Folgen selbst vermeintlich harmlose Geschwindigkeitsüberschreitungen in diesem Bereich, wo Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen häufig sind, haben können, zeigen physikalische Berechnungen: Fährt ein Auto mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h statt mit einer solchen von 50 km/h, hat es dort, wo es mit 50 km/h stillstehen würde, immer noch eine Geschwindigkeit von 28,2 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h noch eine solche von 40,5 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h noch eine solche von 59 km/h; bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h noch eine solche von 74,3 km/h. Derartige Aufprallgeschwindigkeiten können bei Fussgängern zu schwersten und tödlichen Verletzungen führen. Ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h sind Becken- und Beinbrüche, ab einer solchen von 45 km/h tödliche Verletzungen sehr wahrscheinlich (Bericht von Prof. Dr. Felix Walz vom 17. November 1994 zu Handen des Kassationshofes).
Die von der Beschwerdeführerin geschaffene Verkehrsgefahr kann damit keinesfalls als leicht bezeichnet werden. Auch ihr Verschulden wiegt nicht leicht. Die von ihr befahrene Strecke hat an der Messstelle, wie dargelegt, deutlich Innerortscharakter. Schon deshalb hätte sie die Geschwindigkeit erheblich reduzieren müssen. Die beidseits der Fahrbahn angebrachten Signale "Höchstgeschwindigkeit 50" waren im übrigen von weitem erkennbar. Wenn sie diese Signale übersehen hat, lässt das auf eine sehr unaufmerksame Fahrweise schliessen. Da sowohl die geschaffene Verkehrsgefahr als auch das Verschulden erheblich sind, hat die Vorinstanz auch in Berücksichtigung des ungetrübten automobilistischen Leumunds der Beschwerdeführerin Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie einen leichten Fall verneint hat und von einem mittelschweren Fall nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG ausgegangen ist.
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