Arrêt du: 22 mars 2004
N° de procédure: 6P.146/2003
Sachverhalt
Motorradfahrer A musste wegen eines geschlossenen Bahnübergangs anhalten. Auf der Gegenfahrbahn bildete sich vor dem Bahnübergang eine längere Fahrzeugkolonne. Nach dem Öffnen der Schranken setzte A in vorderster Position seine Fahrt fort und beschleunigte auf die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Zur selben Zeit fuhr der zwölfjährige B 106 m weiter vorne mit seinem Fahrrad von links aus der verdeckten Ausfahrt eines Ladens durch eine Lücke zwischen den wartenden Fahrzeugen – ohne nach rechts zu blicken – auf die Hauptstrasse hinaus. Obwohl der Motorradfahrer den Knaben noch sah, konnte er nicht mehr rechtzeitig anhalten. Es kam zu einer Kollision zwischen A und B. Beide Lenker stürzten, B erlitt dabei schwere Verletzungen.
Prozessgeschichte
Nachdem der Motorradfahrer A in erster Instanz noch freigesprochen worden war, wurde er vom kantonalen Obergericht der fahrlässigen schweren Körperverletzung für schuldig befunden. Es verurteilte ihn aufgrund Art. 125 Abs. 2 StGB (Strafgesetzbuch) in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 SVG (Strassenverkehrsgesetz) zu einer Busse von Fr. 1'000.-. A beschwerte sich gegen dieses Urteil vor Bundesgericht. Dieses wies die Beschwerde ab.
Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Ein Schuldspruch nach Art. 125 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht – z. B. der Verkehrsregeln – einen anderen Menschen körperlich oder gesundheitlich schwer geschädigt hat. Diese Schädigung muss sowohl voraussehbar als auch vermeidbar gewesen sein. Nach Art. 32 Abs. 1 SVG ist die Geschwindigkeit stets den Umständen, d. h. den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Ein Fahrzeuglenker muss seine Aufmerksamkeit nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen richten. Nach dem Vertrauensgrundsatz darf zwar jeder Strassenbenützer grundsätzlich damit rechnen, dass auch die anderen Verkehrsteilnehmer sich ordnungsgemäss verhalten. Gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten oder bei Anzeichen eines Fehlverhaltens anderer Strassenbenützer ist jedoch besondere Vorsicht geboten. Bei unklaren oder ungewissen Verkehrslagen ist angesichts ihrer besonderen Gefahrenträchtigkeit ebenfalls risikoarmes Verhalten gefordert.
In Übereinstimmung mit der Vorinstanz nahm das Bundesgericht an, der ortskundige A habe einerseits damit rechnen müssen, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer angesichts der geschlossenen Bahnschranke entschliessen werde, aus der verdeckten und vortrittsbelasteten Ladenausfahrt zwischen der stehenden Wagenkolonne auf die bis anhin freie Fahrbahn hinauszufahren. Andererseits war die Sicht wegen der wartenden Fahrzeugkolonne schlecht gewesen. In dieser Verkehrssituation hätte A deshalb nicht die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h fahren dürfen, sondern sich risikoarm verhalten müssen. Da A sich selbst nicht regelkonform verhalten hatte, durfte er sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Zudem hat nach der Rechtsprechung auch ein Vortrittsberechtigter sein (selbst angepasstes) Tempo bei unsicheren Verkehrslagen herabzusetzen. Folglich hätte A seine Geschwindigkeit darauf ausrichten müssen, auf einen nach rund 100 m von links einmündenden Verkehrsteilnehmer rechtzeitig zu reagieren. Er hatte den Velofahrer rund 40 m vor der Kollision gesehen. Wäre A mit weniger als 54 km/h unterwegs gewesen, hätte der Unfall (gemäss Gutachten) vermieden werden können. Da die nicht angepasste Geschwindigkeit von A Mitursache der Kollision war, bestätigte das Bundesgericht den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung.
(Prozess-Nr. des Bundesgerichts 6P.146/2003 vereinigt mit 6S.414/2003)
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