Arrêt du: 3 octobre 2012
N° de procédure: 4A_382/2012
Thema des Urteils
Gefährliches Verhalten eines Wohnungsmieters auf dem Balkon seiner Wohnung
Sachverhalt
Der langjährige Mieter einer Wohnung verunfallte beim Sturz vom Balkon seiner Mietwohnung auf denjenigen der darunterliegenden Wohnung tödlich. Der genaue Unfallhergang konnte nicht rekonstruiert werden. Der Mieter der darunterliegenden Wohnung sagte aus, der Verunfallte habe die Angewohnheit gehabt, sich rücklings auf das fragliche Balkongeländer zu setzen.
Prozessgeschichte
Die Pensionskasse des Verunfallten, die den beiden Kindern des Verunfallten je eine Halbwaisenrente von CHF 221.– pro Monat ausrichtete, wollte in der Folge auf den Hauseigentümer Rückgriff nehmen. Sie machte geltend, der Sturz sei durch einen Werkmangel verursacht worden, da das Balkongeländer in dem im Jahr 1959 erbauten Mehrfamilienhaus lediglich eine Höhe von 82 cm aufweise.
Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage der Pensionskasse ab, da kein Werkmangel vorliege. Das kantonale Obergericht bejahte grundsätzlich einen Werkmangel, reduzierte jedoch die Haftung des Werkeigentümers zufolge Selbstverschuldens des Verunfallten um 50%. Das vom Eigentümer angerufene Bundesgericht verneinte eine Werkeigentümerhaftung, hob das Urteil des kantonalen Obergerichts auf und wies die Klage der Pensionskasse ab.
Für die Prävention entscheidende Erwägungen des Bundesgerichts
Die Selbstverantwortung des Benutzers bildet eine Schranke der Sicherungspflicht des Werkeigentümers. Der Werkeigentümer darf mit einem vernünftigen und dem allgemeinen Durchschnitt entsprechenden vorsichtigen Verhalten der (erwachsenen) Benützer eines Werkes (z.B. Balkongeländers) rechnen. Geringfügige Mängel, die bei solchem Verhalten normalerweise nicht Anlass zu Schädigungen geben, braucht er deshalb nicht zu beseitigen. Er darf insbesondere solche Risiken ausser Acht lassen, welche von den Benützern des Werks oder von Personen, die mit dem Werk in Berührung kommen, mit einem Mindestmass an Vorsicht vermieden werden können.
Nach einem Unfall spielt es für eine Bejahung der Werkeigentümerhaftung eine Rolle, wer verunfallt ist. Das Bundesgericht legt demnach einen anderen Massstab an, je nachdem ob eine mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Person, die z.B. beim Anlehnen von der niedrigen Höhe des Geländers überrascht wird, abstürzt oder ob ein langjähriger Mieter, der mit der Höhe eines Geländers vertraut ist, dies tut. Im konkreten Fall befand das Gericht, der langjährige Mieter habe durch sein Verhalten die Gefahr eines Unfalls erhöht und es dabei an der gebotenen Vorsicht mangeln lassen. Deshalb sei der Unfall nicht auf einen Werkmangel, sondern auf eigenverantwortliches Handeln des Verunfallten zurückzuführen.
Folgerungen bfu daraus
Dass an die bauliche Nachrüstung bestehender Bauten im Nachgang zu einem Unfall durch die Gerichte nicht übertriebene Anforderungen gestellt werden, ist aus rein rechtlicher Sicht nachvollziehbar. Es gilt der Grundsatz des Bestandesschutzes.
Ebenso nachvollziehbar ist es, dass an die Selbstverantwortung der Benutzer einer Baute auch gewisse Anforderungen gestellt werden, insbesondere wenn diese Benutzer Erwachsene sind, welche mit dem Objekt gut vertraut sind. Das Bundesgerichtsurteil macht gleichzeitig deutlich, dass es jeweils entscheidend ist, wer verunfallt ist. Je nachdem, ob eine mit den Örtlichkeiten vertraute Person oder eine fremde Person, die mit den Örtlichkeiten nicht vertraut ist, verunfallt, wird das Gericht einen anderen Massstab anlegen. Vielleicht wäre also dieses Urteil anders ausgefallen, wenn z.B. ein Besucher des Mieters verunfallt wäre. Dieser Hinweis des Bundesgerichts erachtet die bfu als wichtig.
Aus unfallpräventiver Sicht muss festgehalten werden, dass die periodische Überprüfung und Verbesserung der Sicherheit einer Baute durch eine Fachperson elementar ist. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Stürzen aus der Höhe geleistet. Den Hinterbliebenen eines Unfallopfers ist eine allfällige Bejahung der Werkeigentümerhaftung nämlich kaum ein Trost.
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