Eltern haben eine Aufsichtspflicht gegenüber ihren unmündigen Kindern. Wie intensiv die Aufsicht über Kinder sein muss, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Namentlich sind das die örtlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse sowie das Alter, der Charakter und die geistige Reife sowie die besonderen Neigungen, Gewohnheiten und Veranlagungen des zu beaufsichtigenden Kindes.

Permanente Überwachung ist unmöglich

Die Beaufsichtigung des Kindes muss umso intensiver sein, je jünger und unerfahrener das Kind ist. Eine permanente Überwachung ist hingegen selbst bei kleineren Kindern weder möglich noch geboten, gerade wenn mehrere Kinder beaufsichtigt werden.

Weiter gilt es zu berücksichtigen, dass Kinder in ihrer Bewegungsfreiheit nicht allzu sehr eingeschränkt werden sollten. Je nach Alter dürfen sie beispielsweise alleine spielen, Besorgungen machen, alleine auf den Schulweg gelassen werden oder Sport treiben.

Erkenntnisse aus der Rechtsprechung

Grundsatzurteil zur Werkeigentümerhaftung nach Kinderunfällen und zur Aufsichtspflicht der Eltern bezüglich Kindern, die Werke benutzen

Im Entscheid 130 III 736 hat sich das Schweizerische Bundesgericht in grundsätzlicher Art zu der in Art. 58 Obligationenrecht geregelten Werkeigentümerhaftung bei Kinderunfällen und zur Aufsichtspflicht der Eltern bezüglich Kinder, die Werke benutzen, wie folgt geäussert:

  • Werkeigentümerinnen und -eigentümer (z. B. Strasseneigentümer oder Eigentümerinnen eines Spielplatzes) dürfen grundsätzlich darauf vertrauen, dass Kinder sich gemäss der ihrem Alter entsprechenden, durchschnittlichen Vernunft verhalten.
  • Kinder, die in Bezug auf die Benützung eines bestimmten Werks nicht über die erforderliche Vernunft verfügen, gehören unter Aufsicht. Dies muss insbesondere für den Strassenverkehr gelten, da das Strassennetz nicht eine für alle Verkehrsteilnehmenden optimale Sicherheit zu gewährleisten braucht. Im Urteil 4A_377/2016 vom 18. Oktober 2016 (Werkeigentümerhaftpflicht nach dem Sturz eines Kleinkindes in einen Gartenteich) hat das Bundesgericht diese Überlegungen generell auf den Aufenthalt von Kleinkindern im Freien – also z. B. auch in Wohnquartieren – angewandt.
  • Ausnahmsweise haben Werkeigentümerinnen und -eigentümer jedoch besondere Sicherheitsvorkehren zur Verhinderung zweckwidrigen Verhaltens durch Kinder zu treffen,
    • wenn das Werk aufgrund seiner Beschaffenheit besondere Risiken in sich birgt, welche bei fehlender Vernunft und Vorsicht zu schweren Schädigungen führen
    • oder wenn das Werk aufgrund seiner besonderen Zweckbestimmung Kinder zu einer bestimmungswidrigen Benützung verleitet.
  • Voraussetzung der Haftbarkeit der Werkeigentümerinnen und -eigentümer ist aber in jedem Fall, dass das zweckwidrige Verhalten voraussehbar ist und zumutbare Massnahmen getroffen werden können, die eine zweckwidrige Verwendung verhindern.
  • Gegen ausgefallenes Verhalten müssen Werkeigentümerinnen und -eigentümer selbst bei Kindern keine Vorkehren unternehmen – so die Auffassung des Bundesgerichts. Hier sind die Eltern als Aufsichtspersonen gefordert.

Zusätzliche Folgerungen aus der Rechtsprechungstendenz

  • Zusätzlich kann aus der Rechtsprechungstendenz Folgendes abgeleitet werden: Die Beaufsichtigung der Eltern muss umso intensiver sein, je gefährlicher die benützten Geräte oder in Angriff genommenen Spiele sind:
    • Eltern missachten ihre Sorgfaltspflicht z. B., wenn sie ein Luftgewehr und die dazu gehörige Munition zusammen im Schlafzimmerschrank aufbewahren und den Schlüssel stecken lassen (Urteil 81/2001).
    • Eine Mutter verletzt ihre Aufsichtspflicht, wenn sie ihren Kindern ohne Instruktion und Überwachung einen Grill zum Würstchen grillieren überlässt und ihnen die Möglichkeit gibt, noch mit einer Flasche Brennsprit zu hantieren (Urteil 6S.529/2001).
  • Eine kumulative Haftung zwischen Staat und Werkeigentümerinnen und -eigentümern ist möglich. Die Beaufsichtigungspflicht durch die Eltern kann in einer Weise missachtet werden, die so schwer wiegt, dass das Verhalten des Staates und/oder jenes der Werkeigentümerinnen und -eigentümer daneben nicht mehr als adäquate Mitursachen gelten kann (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 23499U).

Fazit

Der Gesetzgeber regelt nur, dass die Eltern über ihre unmündigen Kinder eine Aufsichtspflicht haben. Das Mass der Sorgfalt in der Kinderbeaufsichtigung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Bundesgerichtliche Rechtsprechung enthält dazu detailliertere Grundsätze:

  • Kinder sollen Kinder bleiben und auch Fehler machen dürfen, um aus ihnen zu lernen.
  • Eltern und Werkeigentümerinnen und -eigentümer haben allerdings dafür zu sorgen, dass dieses «Fehler-Machen-Dürfen» nicht zu schweren Schädigungen der Kinder führt oder auf Kosten Dritter erfolgt.
Zum Warenkorb
0