Diese restriktive Auslegung des dichten parallelen Kolonnenverkehrs führte dazu, dass bei erhöhtem Verkehrsaufkommen viele Automobilistinnen und -mobilisten bestraft wurden, die sich an sich korrekt verhielten und keine erhöhte Gefahr darstellten.
Gemäss Bundesgericht herrschte zum Beispiel kein dichter Kolonnenverkehr, wenn die Abstände zwischen den Fahrzeugen auf der rechten Spur rund doppelt so gross wie auf der Überholspur waren.
Fahrerinnen und Fahrer auf der rechten Spur mussten also stets die Abstände aller Fahrzeuge auf allen Fahrspuren beobachten um festzustellen, ob sie sich im Kolonnenverkehr befinden oder nicht. Falls nicht, mussten sie abbremsen, um nicht bestraft zu werden.
Das entschied das Bundesgericht 2016
Beim Urteil vom 3. März 2016 (6B_374/2015 / 142 IV 93) ging es um einen Automobilisten, der auf der dreispurigen Autobahn vor Bern, ohne zu beschleunigen mit etwa 90 km/h rechts an zwei Autos vorbeifuhr, als diese Ihr Tempo verlangsamten.
Das Bundesgericht hält in diesem Urteil zwar an seiner Rechtsprechung zur Unterscheidung zwischen dem grundsätzlichen Verbot (auf Autobahnen), rechts zu überholen, und dem erlaubten Rechtsvorbeifahren im Kolonnenverkehr fest, jedoch präzisiert es den Begriff des Kolonnenverkehrs:
«Paralleler Kolonnenverkehr setzt nicht voraus, dass sich die Fahrzeugkolonne auf allen Fahrspuren permanent mit identischer Geschwindigkeit unter Einhaltung gleichgrosser Abstände fortbewegen .... Ist die Verkehrsdichte auf der linkeren (und mittleren) Überholspur derart stark, dass sich die Fahrzeuge auf allen Spuren mit praktisch gleicher Geschwindigkeit fortbewegen, muss auf Geschwindigkeitsreduzierungen der Fahrzeuge auf der (linken oder mittleren) Überholspur, die häufig durch dichtes Auffahren und anschließendes Abbremsen entsteht (sog. Handorgeleffekt), nicht mit eigenem Abbremsen reagiert werden, sondern die Fahrt kann bei gleichbleibender Geschwindigkeit unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt fortgesetzt werden.» (Erw. 4.2.1).
Neue Verkehrsregeln 2021 und Fazit
Aufgrund dieses Urteils wurden auch die Verkehrsregeln per Anfang 2021 angepasst. Alles in allem lässt sich die Situation und Rechtslage so zusammenfassen:
- Rechtsüberholen ist nach wie vor verboten.
- Aufgrund des notorischen Linksfahrens auf Schweizer Autobahnen ist der Verkehr auf den rechten Fahrstreifen häufig flüssiger.
- Auf der Überholspur kommt es oft zu ständigem Auffahren und Abbremsen. Rechtsvorbeifahren ist dann mit der nötigen Vorsicht erlaubt, wenn es auf der linken (und mittleren) Überholspur zu einer derartigen Verkehrsverdichtung kommt, dass Fahrzeuge auf der Überholspur faktisch nicht mehr schneller vorankommen als diejenigen auf der Normalspur (passives Rechtsvorbeifahren).
- Anders gesagt: es muss auf Geschwindigkeitsreduzierungen der Fahrzeuge auf der (linken oder mittleren) Überholspur nicht mit eigenem Abbremsen reagiert werden, sondern die Fahrt kann bei gleichbleibender Geschwindigkeit unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt fortgesetzt werden.
- Wiedereinbiegen nach dem Rechtsvorbeifahren: Ausschwenken, Vorbeifahren und Wiedereinbiegen ist nur dann zulässig, wenn diese Aktionen nicht in einem Zug, sondern für sich allein als einzelne Vorgänge erfolgen.
Weiterführende Hinweise