Welche rechtlichen Folgen hat nicht angepasste Geschwindigkeit?
Das Strassenverkehrsgesetz verlangt im Art. 32 Abs. 1 eine den Umständen angepasste Geschwindigkeit. Was darunter genau zu verstehen ist, wird im Beitrag «Geschwindigkeit im Strassenverkehr – was verlangt das Recht?» erläutert. Im Folgenden finden Sie einige Urteile, die verdeutlichen, welche rechtlichen Folgen eine den Umständen nicht angepasste Geschwindigkeit haben kann.
Einblick in die Rechtsprechung
Vorsorglicher Führerausweisentzug
Ein vorsorglicher Führerausweisentzug stellt keine Sanktion dar. Es ist eine Verwaltungsmassnahme, die einzig den Schutz der Verkehrssicherheit durch provisorische Fernhaltung von möglicherweise fahrungeeigneten Lenkerinnen und Lenkern bezweckt.
Der vorsorgliche Führerausweisentzug soll den Behörden Zeit geben, um die Entscheidungsgrundlagen für die Beurteilung der vermuteten Eignungsmängel sowie für den Entscheid über einen Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit zu beschaffen.
Extreme Geschwindigkeitsüberschreitungen können ernsthafte Zweifel an der Fahreignung erwecken, welche die Anordnung eines vorsorglichen Führerausweisentzugs und einer verkehrspsychologischen Abklärung gestützt auf Art. 30 Verkehrszulassungsverordnung rechtfertigen.
Gerichtsurteile dazu:
- Vorsorglicher Führerausweisentzug nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Autostrasse um mindestens 73 km/h (Bundesgerichtsurteil 1C_658/2015 vom 20.6.2015). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Vorsorglicher Führerausweisentzug nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 66 km/h (Bundesgerichtsurteil 1C_339/2016 vom 7.11.2016). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
Gutachten wegen Verkehrsregelverletzung, die auf Rücksichtslosigkeit schliessen lässt
Gemäss Art. 15d Abs. 1 lit. c Strassenverkehrsgesetz (SVG) ist bei Verkehrsregelverletzungen, die auf Rücksichtslosigkeit schliessen lassen, zwingend eine Fahreignungsuntersuchung anzuordnen. Rücksichtslosigkeit im Sinne dieses Artikels liegt vor entweder gestützt auf eine einzelne sehr schwere – vorsätzliche oder grobfahrlässige – Verkehrsregelverletzung (z. B. Schikanestopp bei hoher Geschwindigkeit, illegales Autorennen), oder sie ergibt sich aus wiederholten, mehr oder weniger schwerwiegenden Verkehrsregelverletzungen.
Der Art. 15d SVG ist erst am 1.1.2013 in Kraft getreten. Trotz fehlender expliziter rechtlicher Grundlage hat die Rechtsprechung aber auch schon vorher solche Fahreignungsuntersuchungen befürwortet, was folgende Gerichtsurteile zeigen.
Gerichtsurteile dazu (zum Recht vor dem Inkrafttreten von Art. 15d SVG am 1.1.2013):
- Wer innerorts um die Mittagszeit bei regem Fussgängerverkehr die höchstzulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 49 km/h (netto) überschreitet, ist losgelöst von seinem fahrerischen Leumund auf seine Fahreignung hin zu untersuchen, unter gleichzeitigem vorsorglichen Entzug des Führerausweises (Bundesgerichtsurteil 1C_604/2012 vom 17.5.2013). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Eine Vielzahl von Geschwindigkeitsdelikten in Kombination mit abnehmenden zeitlichen Abständen zwischen den Vorfällen können ernsthafte Zweifel an der charakterlichen Eignung als Motorfahrzeuglenker begründen. Dies rechtfertigt ein Fahreignungsgutachten (Bundesgerichtsurteil 6A.15/2000 vom 28.6.2000). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit
Gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e bzw. Art. 16c Abs. 2 lit. d Strassenverkehrsgesetz ist der Führerausweis auf unbestimmte Zeit, mindestens aber für zwei Jahre, zu entziehen, wenn erneut verkehrsauffälligen Lenkerinnen und Lenkern in einem Zeitraum von zehn Jahren vor der Tat der Führerausweis bereits mehrfach (zweimal bzw. dreimal, je nach Schwere der jeweiligen Verkehrsregelverletzung) entzogen worden war.
Kraft gesetzlicher Vermutung wird hier von der fehlenden charakterlichen Eignung zum Lenken eines Fahrzeugs ausgegangen. Fehlbare Lenkerinnen und Lenker trifft in diesem Fall die Sanktion Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit (sog. Sicherungsentzug) aus dem sog. Kaskadensystem heraus, ohne dass das Fehlen der charakterlichen Eignung gutachterlich abgeklärt worden wäre.
Denkbar ist ein Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit auch aus charakterlichen Gründen aufgrund einer schlechten Prognose über das Verhalten als Motorfahrzeugführerin oder -führer (Art. 16d Abs. 1 lit. c Strassenverkehrsgesetz).
Anhand der Vorkommnisse (unter anderem Art, Schwere, Zahl und Häufigkeit der begangenen Verkehrsdelikte) und der persönlichen Umstände muss dies im Einzelfall beurteilt werden. In Zweifelsfällen ist ein verkehrspsychologisches oder psychiatrisches Gutachten anzuordnen.
Gerichtsurteile dazu:
- Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit aus dem Kaskadensystem heraus: aktuell Geschwindigkeitsüberschreitung ausserorts um 44 km/h; drei mindestens mittelschwere Widerhandlungen in den letzten zehn Jahren (Bundesgerichtsurteil 1C_341/2017 vom 2.10.2017). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Sechs Geschwindigkeitsüberschreitungen binnen neun Jahren – Führerausweisentzug auf unbestimmte Zeit nach negativem verkehrspsychologischen Eignungsgutachten (Bundesgerichtsurteil 6A.85/2003 vom 11.2.2004). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
Führerausweisentzug auf bestimmte Zeit
Verstösse gegen die Geschwindigkeitsvorschriften können vonseiten Strassenverkehrsamt zu einer Verwarnung oder zu einem Führerausweisentzug auf bestimmte Zeit (sog. Warnungsentzug) führen. Je nachdem, ob das Strassenverkehrsrecht noch anderweitig verletzt wurde und je nachdem, ob die Betroffenen Erst- oder Wiederholungstäterinnen oder -täter sind.
Mit einem solchen Warnungsentzug will man präventiv und erzieherisch auf Fahrzeuglenkerinnen und -lenker einwirken. Massgebend sind die Art. 16a und folgende des Strassenverkehrsgesetzes.
Gerichtsurteile dazu:
- Innerortshöchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschritten – sechsmonatiger Führerausweisentzug (Bundesgerichtsurteil 1C_87/2016 vom 13.6.2016). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Aberkennung eines ausländischen Führerausweises für mindestens zwei Jahre nach Raserdelikt in der Schweiz (Bundesgerichtsurteil 1C_397/2014 vom 20.11.2014). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
Strafen
Verstösse gegen die Geschwindigkeitsvorschriften können auch zu Strafen führen. Rechtsgrundlagen bilden der Art. 90 Strassenverkehrsgesetz und das Strafgesetzbuch. Gerichtsurteile dazu:
- Fahrlässige Tötung wegen unangepasster Geschwindigkeit: unbeleuchtete Hindernisse auf der Autobahn sind nichts Aussergewöhnliches (Bundesgerichtsurteil 6S.704/2000 vom 2.4.2001). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Geschwindigkeitsüberschreitung in einer Tempo-30-Zone um 22 km/h – einfache Verkehrsregelverletzung (Bundesgerichtsurteil 6B_521/2016 vom 15.9.2016). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
- Die massive Überschreitung der Tempolimiten (Raserdelikt im Sinne von Art. 90 Abs. 4 SVG) ändert nichts daran, dass dem Täter Vorsatz nachzuweisen ist. Unter Vorsatz versteht man die Ausführung einer Tat mit Wissen und Willen. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Bundesgerichtsurteil 142 IV 137 vom 1.6.2016). Eine Analyse dieses Urteils finden Sie hier.
- Beschlagnahme des Fahrzeugs nach Verdacht auf Raserdelikt (Bundesgerichtsurteil 1B_403/2013 vom 19.6.2014). Eine Zusammenfassung dieses Urteils finden Sie hier.
Weitere Informationen
Mehr Informationen zum Thema Geschwindigkeit finden Sie in unserem Ratgeber «Geschwindigkeit im Strassenverkehr».